Zeitgemäße Liebe

Montagmorgen, kurz nach 8.
Ich öffne Facebook.
„XY nimmt an Veranstaltung Bla teil“ – irgendwas mit Polyamorie. Und plötzlich drängt sich der Gedanke wieder auf, der in den letzten wenigen Jahren immer mal wieder entstanden ist: ist monogame Liebe eigentlich noch zeitgemäß?

Das ist in erster Linie kein Gedanke, der aus mir persönlich heraus kam. Ich fand meine monogamen Beziehungen immer völlig normal und würde an dem Konzept für mich nichts ändern wollen. Man muss eben vielleicht mit der Einschränkung leben, dass man für den Rest seines Lebens nur noch diese eine Person küsst, wenn dort die „Grenze des Duldbaren“ ist.
Dieser Gedanke kam vielmehr von außen, durch Unterhaltungen mit anderen Menschen, die eine andere Form von Beziehungsführung ausleben.
Gegen das Konzept „mehrere Menschen lieben“ habe ich nichts einzuwenden. Ich behaupte nicht, dass es nicht möglich sei, aufrichtige Gefühle für mehr als eine Person zu haben. Nein, ich denke, dass das wirklich noch die kleinste Hürde ist.
Was mich am Prinzip Polyamorie oder Polygamie stört ist, wie die Menschen, die diesen Weg gehen, den „Ottonormalliebenden“ wie wir gegenüberstehen.
Bist du in einer monogamen heterosexuellen Partnerschaft? Igitt, wie 1960 bist du denn? Das ist doch vergeudete Sexenergie!
Halten wir fest: Monogamie ist out. Wer weltoffen sein will, hat gefälligst mehrere Partner zu haben; so hat jeder ganz viel Spaß und niemand stellt Besitzansprüche. Achso, und die so genannten „Heten-Ehen“ sollten ja konsequent abgeschafft werden. Homosexuelle sollen heiraten, aber Heteros sollten sich ihre sexuelle Energie bitte lieber dafür aufsparen, mit möglichst vielen Menschen zu „verkehren“ – abgesehen davon, dass Heterosexualität wiederum auch alles Andere als weltoffen ist.

An dieser Stelle möchte ich bitte untermauern, dass auch diese nicht meine Gedanken sind, sondern ich gerade reine Satire betreibe. Vielleicht auch Polemik, das will ich nicht abstreiten. Denn diese Art von Diskussion hatte ich in letzter Zeit nicht nur einmal und ich fasse es nicht, was mir damit eigentlich unterstellt wird. Im Endeffekt implizieren diese Aussagen nämlich, dass ich mir doch gefälligst selbst aussuchen könne, welches Geschlecht ich liebe und wie viele auf einmal. Einem Homosexuellen wird es gleichzeitig abgesprochen – der kann nichts für seine Sexualität. Ich schon, ich bin ja ne blöde Hete. Ahaha.
Es ist auch okay, dass heutzutage der Trend eher in Richtung offene Beziehungen in alle Richtungen geht. Allerdings vertrete ich dabei nicht die Meinung, dass dies besonders weltoffen ist, sondern vielleicht eher sowas wie „nicht super konsequent“ oder „vielleicht auch ein bisschen feige aus Angst davor, verlassen/betrogen/enttäuscht zu werden“. Man kann nicht betrogen werden, wenn es ein Betrügen im sexuellen Sinne nicht gibt. Man kann dennoch emotional betrogen oder hintergangen werden, denn was dazu gehört, ist eben aufrichtige Zuneigung und Ehrlichkeit. Was in polyamoren Beziehungen vermutlich nicht vorhanden ist, ist der „Besitzanspruch“, den man an seinen Partner hat. Vielleicht generell sogar weniger Eifersucht, aber vor allem fehlt in meiner Vorstellung davon der Gedanke, dass der Partner einem gänzlich verpflichtet ist und „nur einem selbst gehört“. Wir wissen natürlich alle, dass diese Besitzgedanken absurd und schädlich sind, aber fühlen wir doch mal alle für einen kurzen Moment in uns hinein… Denken wir nicht so? Können wir uns ganz von diesem Besitzanspruch freimachen?
Ich kann es nicht, das gebe ich ehrlich zu.
Ich möchte, dass mein Partner mein Partner ist.
Und ich finde das weder unzeitgemäß noch falsch.
Es ist meine Art der Beziehungsführung und wenn mein Partner das auf die gleiche Art und Weise sieht wie ich, dann brauche ich mir ja keine Sorgen darüber machen, dass es falsch sein könnte. Oder dass andere Menschen es falsch finden könnten.

Ich kann frei entscheiden, was ich esse, wie ich mich kleide, was ich kaufe und was nicht, ob ich mit dem Auto oder mit dem Fahrrad fahre, ob ich Kinder haben möchte oder nicht.
Aber ich kann nicht frei entscheiden, wie viele Personen ich liebe und welches Geschlecht diese haben.
Und darum möchte ich mich auch für meine Sexualität nicht rechtfertigen müssen und von einem Menschen, der das Konstrukt Liebe anders begreift als ich, nicht behandelt werden wie ein Fleischesser von einem militanten Veganer.
Ich möchte mich nicht insgeheim dafür schämen müssen, dass ich einfach nur eine Person liebe und diese auch mit keiner anderen „teilen“ möchte.
Ich möchte einfach so lieben, wie ich es nun einmal tu. Denn das ist etwas, in das mir die Gesellschaft nicht reinreden darf.
Danke.

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Und falls jetzt irgendjemand auf die Idee kommt, mir unterstellen zu wollen, ich hätte in diesem Artikel irgendetwas gegen irgendeine Gruppe von Menschen gesagt, möchte ich mich gern noch mal davon distanzieren. Ich diskriminiere hier niemanden, mit Ausnahme vielleicht von den Menschen, die meine sexuelle Orientierung oder Beziehungsführung nicht tolerieren.