Quergeist – eine Nonmention

Die Frage ist: Kann man zum Querdenker werden oder ist man dazu veranlagt und muss dieses Talent oder diese, mh, Verhaltensart schlicht weiterentwickeln?
Reden wir hier von einer Charaktereigenschaft oder einer Form von Temperament, Persönlichkeit?

Ich kann nicht sagen, ob ich seit meiner Kindheit eine Art von Querdenker bin.
Du warst es.
Du bist es.
Du erzähltest mir einst davon, wie du im frühen Kindesalter bei einem Kinderpsychologen warst, weil du nichts hingenommen hast, wie es war, sondern alles ausdiskutieren wolltest.
Bewundernswert. Erschreckend. Schön und furchtbar.

Wann immer ich ein Gespräch mit dir führte – ich könnte auch jetzt keinen Ausdruck dafür finden, wie ich mich wirklich gefühlt habe -, fühlte ich mich dir geistig um Welten unterlegen. Wo auch immer ich mich in Gedanken oder einer Unterhaltung befand, lagst du doch viele Schritte vor mir. Deine Gedanken breiteten sich in Überschallgeschwindigkeit aus und man konnte dir nicht folgen. Jeden Satz begleitetest du mit deinem besonderen Lächeln und dem charakteristischen Ausdruck in deinen Augen. Nicht verspottend, nicht übertrumpfend. Vielleicht auf eine Art und Weise ungeduldig wartend auf die nächste Antwort, die du geben könntest, um einen weiteren Denkvorsprung einzuheimsen. Anregend, intensiv und mitten in den Kopf deines Partners, deines Gegners, hinein.
Ich hasste es, doch ich bewunderte dich.

„Du musst diplomatischer werden“, sagtest du. Es ist 9 Jahre her.
Diesen Satz werde ich niemals vergessen, denn er war sicher einer der bedeutensten Sätze, die jemals ein Mensch zu mir gesagt hat.
Mit diesem Satz im Hinterkopf habe ich mein Leben danach ausgerichtet, meine Umwelt nicht stur hinzunehmen und zu bewerten, sondern ihr möglichst objektiv und wertfrei zu begegnen. Ich habe gelernt, anderen Menschen ihre Meinungen zu gönnen und sie nicht mit irrationalen Pseudoargumenten auszustechen.
Ich habe gelernt, alles, was ich sagen möchte, sei es auch negativer Natur, so auszudrücken, dass es mir niemand übelnehmen könnte; resultierend im Vorteil, dass ich mich selten streite. Nicht, weil ich mich zurücknehme, sondern, weil ich niemandem zu nahe trete und niemanden mit meinen Worten verletze.
Und nicht zuletzt versuche ich, so viel wie möglich zu hinterfragen und immer eine Ecke weiter zu gehen; kritisch zu sein, skeptisch zu sein. In die Tiefe zu gehen und über den Tellerrand hinwegzusehen.

Ich verabscheue deinen Quergeist, doch gleichzeitig bewundere ich ihn.
Und manchmal fehlt es mir, die Köpfe mit dir zusammenzustecken.
Ich habe dir für nichts weiter zu danken, aber ich danke dir dafür, dass du meinen Geist herausgefordert hast.